30.06.2011 Leipzig;
Matthias Fehr
Während deutsche Mobilfunkbetreiber den schnellen und umfassenden LTE-Ausbau loben, gibt es auch eine Schattenseite: Die Störproblematik. Bereits seit längerer Zeit bekannt, wird das Problem mit zunehmender Netzabdeckung akut. Denn Frequenzspektren, welche früher vorwiegend für die professionelle, drahtlose Mikrofontechnologie verwendet wurden, stehen nun LTE zur Verfügung. Funkmikrofonen könnte so über kurz oder lang der Garaus gemacht werden. Die Politik verhandelt derzeit über Entschädigungszahlungen. Wie ist der Stand der Verhandlungen? Wo genau liegen die Probleme und wie ernst sind sie? Wir sprachen mit dem APWPT-Vorstandsvorsitzenden Matthias Fehr (Association of Professional Wireless Production Technologies/ Verband für professionelle drahtlose Produktionstechnologie). .
LTE-Anbieter.info: Herr Fehr, vielen Dank erst einmal, dass Sie sich für uns Zeit nehmen. Zum Thema: Die Debatte um Entschädigungszahlungen für die Medien- und Unterhaltungsindustrie tobt, die Fronten scheinen sich zu verhärten. Wie ist der aktuelle Stand der Dinge?
Matthias Fehr: Die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern sind offenbar gescheitert und ein aus unserer Sicht zu kleiner Betrag wurde in den Bundeshaushalt eingestellt. Die APWPT beabsichtigt durch eine E-Petition eine Neuaufnahme der Verhandlungen zu Gunsten der professionellen Veranstaltungsproduktion herbeizuführen.
LTE-Anbieter.info: Kultur- und Medienbetriebe sind sich einig: Die Entschädigungspolitik ist undurchsichtig, die geplanten Zahlungen entschieden zu gering. Sogar der Bundesrat stimmt zu. Warum lenkt der Bund nicht ein?
Matthias Fehr: Ich denke, neben dem Anliegen des Bundesfinanzministeriums, den Bundeshaushalt zu schonen, gibt es offenbar unterschiedliche Positionen bei der Bewertung der Sachfrage zwischen den eingebundenen Ministerien. Wir erkennen, dass sich die Bundesregierung auf den Erkenntnisstand der Länder zu bewegen muss.
LTE-Anbieter.info: Der Bundesrat schätzt den Finanzbedarf für Neuanschaffungen auf etwa 700 Millionen Euro, sie sprechen von 1,4 Milliarden. Worauf basieren diese Berechnungen?
Matthias Fehr: Eine unabhängige Markterhebung hat eine Summe von mehr als 600.000 drahtlosen Mikrofonen im Markt ermittelt. Bei der Annahme eines typischen Anschaffungspreises von deutlich mehr als 2.000 Euro pro Mikrofonstrecke ergibt sich die Annahme der APWPT. Ein Beispiel aus Bad Hersfeld zeigt, dass auch rund 4.000 Euro pro Mikrofonstrecke notwendig werden können:
siehe hier. Die Zahl 700 Millionen Euro war nach unserer Information bereits ein Kompromissvorschlag der Länderkammer.
LTE-Anbieter.info: Die Versteigerung der Frequenzpakete der „digitalen Dividende“ brachten dem Bund rund vier Milliarden Euro – demgegenüber stehen Zahlen von etwa 70 Millionen Euro für die Entschädigung. Ist der Bund einfach bloß geizig?
Matthias Fehr: Wir unterstellen grundsätzliche nicht, denken aber, dass der Gesamtansatz der Diskussion falsch ist. Es wird eine Entschädigung versprochen und diskutiert (also ein Vorhaben mit Rechtsanspruch) vom Bundesfinanzministerium aber eine „Billigkeitsrichtlinie“ ohne Entschädigungsanspruch konzipiert. Wie auch immer, beide Ansätze fußen auf der Annahme, dass der Ausbau der neuen Mobilfunknetze sich auf die ländlichen Gebiete beschränkt und darüber hinaus bis Ende 2015 ausreichender Spielraum für den professionellen Einsatz von drahtlosen Mikrofonen bleibt.
Das hat sich zwischenzeitlich als falsch heraus gestellt. Derzeit gibt es einen LTE-Ausbau in etwa 50 Prozent aller deutschen Gemeinden und zusätzlich wurden bereits in Berlin mehrere LTE-Standorte eingeschaltet. Weitere Stadtstaaten werden sehr wahrscheinlich folgen. Die dringende Aufgabe ist also, für alle Betroffenen den sofortigen Umstieg auf alternative Frequenzen zu sichern – die Branche ist umgehend aus dieser Situation herauszulösen. Dazu sind erhebliche Anstrengungen zu unternehmen.
LTE-Anbieter.info: Sie führen an, dass gerade öffentliche Einrichtungen Leidtragende sind. Warum?
Matthias Fehr: Diese Einrichtungen sind zunächst durch Haushaltsvorschriften zu kostensparendem Handeln gezwungen, möglichst lange die funktionierende Technik einzusetzen. Ablöseinvestitionen müssen, bei knapper Kassenlage, meist über langfristige Haushaltsverhandlungen durchgesetzt werden. Kommt eine Finanzierung nicht zustande, dann hat das Auswirkungen, z. B. auf den Spielplan betroffener Theater. Danach gibt es nicht selten weitere Auflagen, (europaweite) Ausschreibungen durchzuführen.
LTE-Anbieter.info: Sie kritisieren die „Bagatelleregelung“, also keine Entschädigung unter 300 Euro Anschaffungswert. Schaut man in die Preislisten ist dafür aber sowieso kaum etwas zu bekommen, oder?
Matthias Fehr: Der alte Richtlinienentwurf ist zwischenzeitlich Gegenstand umfangreicher Abstimmungen. Warten wir bitte den nächsten Richtlinienentwurf ab, bevor wir weitere Ausführungen machen.
LTE-Anbieter.info: Eine ihrer Forderungen: Keine Stichtagsregelung. Wie soll das funktionieren?
Matthias Fehr: Zum Beispiel so wie in England. Dort wurde ein Unternehmen mit der Entgegennahme und Entsorgung der Technik beauftragt. Dieses attestiert dadurch die Entschädigungsvoraussetzung. Alternativ könnte ein Verschrottungsnachweis ausreichen. Deutschland hat damit auch Erfahrungen.
LTE-Anbieter.info: Der LTE-Ausbau geht mit sehr großen Schritten voran, wie schnell muss gehandelt werden? Droht in wenigen Monaten eine Art Supergau, der jede Art Medienproduktion und öffentliche Aufführung unmöglich macht?
Matthias Fehr: Konkret ja! Was bisher Schlimmeres verhindert hat, ist die Tatsache, dass kaum
LTE-Endgeräte am Weltmarkt verfügbar sind. Das soll sich bereits Ende dieses Jahres ändern. „Die Zeit“ vom 22.06.2011 berichtet im Wirtschaftsteil über aktuelle Störfälle.
LTE-Anbieter.info: Sollten die prognostizierten Probleme eintreten, betrifft das am Ende nicht nur Medienmacher und Kulturschaffende sondern auch den Konsumenten. Warum findet die Debatte kaum den Weg in die öffentliche Wahrnehmung?
Matthias Fehr: Medien haben dieses Thema aufgegriffen und informieren. Ihr Beitrag kann dabei sehr hilfreich sein – wir unterstützen die Medien dabei nach Möglichkeit.
LTE-Anbieter.info: Noch 2005 wurde die jetzt versteigerte „digitale Dividende“ im 800 MHz Bereich über Jahre der Nutzung durch professionelle Veranstaltungsproduktionen zugesichert, nun soll dies in einem anderen Frequenzspektrum unterhalb 800 MHz möglich sein. Haben sie Angst, bald wieder „umziehen“ zu müssen?
Matthias Fehr: Diese Angst ist berechtigt. Im Rahmen der Medientage NRW hat zum Beispiel ein Mobilfunkunternehmen klare Forderungen adressiert.
LTE-Anbieter.info: Die Versteigerung der „digitalen Dividende“ scheint viele Verlierer hervorzubringen. Wer sind die Gewinner? Mobilfunkunternehmen, die nun weiter Frequenzspektren bespielen können und Mikrofonhersteller, welche mit einem Schlag tausende neuer Anlagen absetzen können?
Matthias Fehr: Die Habenseite des Mobilfunks scheint klar umrissen. Alle anderen Beteiligten haben bei anhaltender Diskussion der Digitalen Dividende erhebliche Marktstörgrößen zu verzeichnen. Von den Mikrofonherstellern werden zusätzlich umfassende Investitionen erwartet, ohne dass bisher z. B. für den europäischen Markt klare Frequenzentscheidungen als Planungskriterium getroffen sind.
LTE-Anbieter.info: Erhoffen Sie sich vom neuen Bundeswirtschaftsminister Rösler neue Ansätze?
Matthias Fehr: Ja und natürlich auch von anderen Regierungsmitgliedern.
LTE-Anbieter.info: Zum Schluss bitte in einem Satz: Gibt es den Königsweg, eine Lösung die alle zufrieden stellt?
Matthias Fehr: Zum ersten, die sofortige Umstellung der Branche auf alternative Frequenzen.
Außerdem die langfristige Planungssicherheit für Frequenzen und zukünftige Produkte. Drittens: Ein Ende der Diskussion zu einer weiteren Digitalen Dividende und ein klares öffentliches Bekenntnis in Deutschland und den internationalen Gremien – ein Kanzler-Machtwort?
LTE-Anbieter.info: Vielen Dank Herr Fehr für das interessante Interview.
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Portrait-Bild: Matthias Fehr - © Matthias Fehr, APWPT